- Autismus-Spektrum -
Im Juni 2022 habe ich erfahren, dass ich Autistin bin (Asperger-Syndrom). Je mehr ich mich seither mit dieser Andersartigkeit auseinandersetze, desto mehr fällt mir auf, wie viel Aufklärungsbedarf diesbezüglich in unserer Bevölkerung besteht. Zum einen habe ich es mehrfach erlebt, dass Menschen auf mein Outing erwiderten, dass Autismus ja ein sehr breites Spektrum ist und jeder Autist anders ist und damit war das Thema dann erledigt. Natürlich stimmt dies, wie auch nicht-autistische Menschen, unterscheiden sich auch Autisten voneinander, trotzdem gibt es Gemeinsamkeiten, ansonsten könnte Autismus ja gar nicht diagnostiziert werden. Zudem empfinde ich diese Aussage als bagatellisierend, da überhaupt nicht verstanden wird, was es heisst, autistisch zu sein. Auf der anderen Seite habe ich auch Menschen erlebt, die das Gefühl haben, alle Autisten sind kognitiv beeinträchtigt, was nicht korrekt ist. Ich wurde auf Grund meiner Art schon häufig völlig falsch eingeschätzt, bzw. unterschätzt.
Aus diesen Gründen möchte ich hier kurz beschreiben, was meine Autismus-Spektrum-Störung für mich bedeutet.
Als erstes bedeutet es, dass ich eine erhöhte sensorische Wahrnehmung habe, da mein Reizfilter kaum funktioniert. Am meisten spüre ich dies, wenn es um Geräusche geht. Sie sind für mich einiges lauter als für nicht-autistische Menschen. Viele Geräusche lösen bei mir eine erhöhte Anspannung aus. Am unangenehmsten ist es für mich, wenn sich mehrere Gespräche überlappen und dies alles ungefiltert auf mich einprasselt. Ich muss mich dann enorm anstrengen, um mich auf ein bestimmtes Gespräch zu konzentrieren.
Auch visuelle und taktile Reize (Berührungen) nehme ich stärker wahr. So kann ein sehr heller Tag zu verschwommenen Sehen führen, Werbebildschirme blenden mich meistens und Unordnung macht mich nervös. Zudem nehme ich viel mehr Details wahr.
Zweitens bedeutet mein Autismus, dass meine soziale Kommunikation erschwert ist. Vieles, dass bei nicht-autistischen Menschen intuitiv verstanden wird, läuft bei mir über die Intelligenz. So habe ich zum Beispiel Mühe, nonverbale Kommunikation zu verstehen. Es fällt mir schwer zwischen den Zeilen lesen, Absichten zu erkennen oder Gesichtsausdrücke richtig zu deuten.
Augenkontakt zu halten ist für mich sehr schwierig. Wenn ich einer Person ins Gesicht schaue, während sie mit mir spricht, lenkt mich das enorm ab, so dass ich von dem, was gesagt wird, kaum etwas aufnehmen kann. Daher kann ich viel besser zuhören, wenn ich meinen Blick auf Gegenstände richte. Das erweckt dann vielleicht fälschlicherweise den Eindruck, dass ich unaufmerksam bin.
Ich tendiere auch dazu, Aussagen wörtlich zu nehmen. Aus diesem Grund ist eine klare Kommunikation sehr wichtig für mich. Mir wurde auch schon gesagt, dass ich sehr direkt sein kann, was ich selbst oftmals gar nicht merke. Zudem finde ich oberflächliche Gespräche oft sinnlos. Small Talk ist mit mir praktisch unmöglich, da ich überhaupt nicht verstehe, was von mir erwartet wird. Viele sogenannte soziale Regeln erscheinen mir unlogisch. Ich verstehe zum Beispiel oftmals nicht, warum man etwas sagt, aber etwas anderes meint.
Des Weiteren sind meine Reaktionen in sozialen Situationen häufig ein wenig verzögert. Wenn ich nicht sofort antworte oder auf eine Aussage reagiere, dann liegt es nicht daran, dass ich nicht zuhöre oder schüchtern bin, sondern daran, dass mein Gehirn viel mehr Informationen verarbeiten muss. Es hilft mir daher, wenn man nicht zu viele Informationen aufs mal gibt, bzw. wichtige Informationen schriftlich mitteilt. Aber vor allem hilft es mir, wenn man mir Zeit und Raum gibt, in meinem eigenen Tempo zu reagieren. Jegliche Art von Druck wirkt auf mich blockierend und ist daher kontraproduktiv.
Das alles hat zur Folge, dass mein Gehirn viel mehr arbeiten muss, als bei nicht-autistischen Menschen und so bin ich auch schneller erschöpft. Um ein wenig Ordnung in das ganze Chaos an Informationen zu bringen, sind eine klare Struktur und Routinen wichtig für mich, da dies Sicherheit gibt. Unvorhergesehene Ereignisse (Überraschungen) hingegen, bedeuten für mich Stress. Ebenso bieten Rituale Sicherheit und Geborgenheit. Ich habe beispielsweise immer ein kleines Plüschtier bei mir.
Wenn zu viele Inputs auf mich einprasseln, gerate ich in eine Overload, was eine hohe Anspannung zur Folge hat und bei mir manchmal von Schwindelgefühlen begleitet ist. Im Extremfall gerade ich einen Shutdown. Das bedeutet, dass sich gewisse Gehirnregionen ausschalten. Bei mir äussert sich dies meistens in einem Freeze, ich bin dann wie eingefroren und bin nicht mehr voll handlungsfähig. Meistens beinhaltet dies auch Mutismus, ich kann also in diesen Momenten nicht mehr sprechen, selbst wenn ich es will.
Um diese Fälle ein wenig vorzubeugen, kann das sogenannte Stimming (Selbststimulation, Regulation) helfen, beispielsweise repetitive Bewegungen (z.B. Schaukeln mit dem Oberkörper).
Viele Autisten haben auch Mühe mit den exekutiven Funktionen. Damit sind kurz gesagt die mentalen Prozesse gemeint, die es einem ermöglichen, Aufgaben in die Tat umzusetzen. Ich persönlich habe hier das Glück, dass ich im Verlauf meines Lebens eine hohe Strukturierung meiner anstehenden Aufgaben erlernen konnte. So plane ich in der Regel alles durch (Dann mache ich das, dann das, etc.). Einige Alltagstätigkeiten habe ich auch bewusst in meine Routinen eingebaut, da ich sie ansonsten vergessen bzw. vernachlässigen würde. Dies hilft mir, meinen Alltag zu bewältigen und ich bin dadurch sehr zuverlässig. Der Haken daran ist, dass ich mich sehr schnell gestresst fühle, wenn etwas mal nicht nach Plan läuft. Ich muss dann alles wieder neu durchdenken, damit ich wieder Sicherheit habe und mich gleichzeitig darum kümmern, meine innere Anspannung zu regulieren. Das ist sehr energieraubend.
Zu den exekutiven Funktionen gehören auch Fähigkeiten, die Aufmerksamkeit zu steuern oder das Folgen von Gruppendiskussionen. Mir fällt z.B. Multitasking sehr schwer. Es irritiert mich auch sehr, wenn ich in einer Tätigkeit unterbrochen werde. So mag ich wohl auch etwas unhöflich wirken, wenn ich auf einen Input von aussen nur minim oder gar nicht reagiere.
Neben all diesen Aspekten, ist auch das Verfolgen von Spezialinteressen für die meisten Autisten typisch. Wir beschäftigen uns überdurchschnittlich viel und vertieft mit einem oder mehreren Themen. Bei mir sind dies zur Zeit vor allem Bücher, hauptsächlich Fantasyliteratur und historische Romane über das Mittelalter. So gehe ich nur selten ohne ein Buch aus dem Haus. Ebenso zählen das Malen und psychologische Themen zu meinen Spezialinteressen.
Mir ist es zum Abschluss ein Anliegen zu betonen, dass Autismus keine Krankheit ist und nichts ist, dass geheilt werden muss. Was wir brauchen, ist Verständnis und ein Umfeld, in dem unsere Bedürfnisse ernst genommen werden. Autisten bringen auch viele Stärken mit sich. So nehmen wir viele Sachen wahr, die andere nicht wahrnehmen, wovon alle profitieren können. Wir bringen Struktur und eine klare Kommunikation in eine Gruppe. Zudem bedeuten unsere Spezialinteressen auch ein vertieftes Wissen zu einem Thema.